Mittwoch, 26. Oktober 2016

Text: „Stigma“ - Erving Goffman

In der nachfolgenden Textbesprechung wird nach einer kurzen Inhaltsangabe der Zusammenhang mit dem Thomas Theorem und Hartmut Essers „Situationslogik und Handeln“  ausgearbeitet.  Darauf folgen einige Kritikpunkte und ein kurzes Resümee.

Inhalt

Erving Goffman beschreibt in seinem Buch „Stigma – Über Techniken der Bewältigung beschädigter Identität“ den Umgang und Ursprung von Stigmata. Hierbei unterscheidet er  grundlegend zwischen zwei Situationen, dem Diskreditieren und  dem Diskreditierbarem. Ersteres meint, dass sich aus Sicht des stigmatisierten Individuums, sein Stigma, den wie Goffman sie nennt „Normalen“, bereits offenbart hat. Im Zweiten Fall bleibt das Handikap den anderen Anwesenden verborgen.
Diese Einteilung bildet das Grundgerüst seiner Arbeit auf welche er immer wieder zurückgreift. Er versucht diese beiden Begebenheiten so gut es geht zu trennen, auch wenn dies nicht immer möglich ist, da manche Situationen nicht eindeutig zuzuordnen sind.  Im Weiteren geht der Autor auf den Umgang mit Stigmata ein, wobei er sowohl die Seite der Betroffenen als auch die Perspektive der nicht Betroffenen erwähnt. Auch  die möglichen aus Stigmata resultierenden Konsequenzen, wie Erpressung und das Führen eines Doppellebens, führt er auf.


Kontextualisierung

Zieht man nun den Grundsatz des Thomas- Theorems hinzu, zur Erinnerung: ,,lf men define situations as real, they are real in their consequences“ (Esser 1999: 63) so könnte man davon ausgehen, dass es gar kein Stigma benötigt um jemanden zu erpressen. Es reicht schon die Drohung etwas zu diskreditieren und somit als real darzustellen um jemanden zu stigmatisieren. Als Veranschaulichung dient das Beispiel der Rufschädigung, hierbei zählt nicht die Tatsache ob etwas real ist, sondern ob es die Gesellschaft als real ansieht.
Goffman beschreibt zu Beginn seines Werkes die Möglichkeit, dass dieselbe Ausgangssituation einmal jemanden Stigmatisiert, aber ein anderes Mal als gesellschaftlich normal angesehen wird. Hierzu Goffman:
“ Der Terminus Stigma wird also in Bezug auf eine Eigenschaft gebraucht werden, die zutiefst diskreditierend ist, aber es sollte gesehen werden, dass es einer Begriffssprache von Relationen, nicht von Eigenschaften bedarf. Ein und dieselbe Eigenschaft vermag den einen Typus zu stigmatisieren, während sie die Normalität eines anderen bestätigt (…)“ (Esser 1999: 11)
 Zieht man hier die Theorie von  William I. Thomas und Florian Znaniecki „The situation is the set of values and additudes with which the individual or the group has to deal (..)“ (Esser 1999: 35, zitiert nach Thomas und Znaniecki 1927: 68) hinzu, so wird oben genanntes  bestätigt. Selbst wenn jemand ein Stigma trägt, kommt es auf die Erfahrungen der „Normalen“ an, welche diese mit jenem gemacht haben. So reagieren zum Beispiel in Österreich Menschen kaum auf jemanden mit Albinismus1, jedoch werden in anderen Teilen der Welt Betroffene verstoßen und geächtet oder aber verehrt. Trägt ein Individuum das Stigma „Albinismus“, kommt es auf die Gesellschaft an wie damit umgegangen wird. So empfindet ein in Europa lebender an Albinismus leidender Mensch sein Handikap als gesellschaftlich nicht problematisch, jedoch in anderen Gegenden der Welt könnte eben jene Pigment Störung sehr hinderlich im sozialen Leben sein.

Kritik

Goffman liebt es, so ist jedenfalls der Schein, seine Sätze in die Länge zu ziehen. Er schafft somit eine Fülle an Gliedsätzen welche es dem Leser erschweren den Überblick zu Behalten. Andererseits ist er sehr bemüht durch Beispiele seine Thesen und Ideen zu veranschaulichen und ihre Richtigkeit zu unterstreichen. Für Leser ohne jegliche Vorkenntnisse bezüglich des Alters des Textes, könnten einige Passagen oder Worte als anstößig oder störend wirken. Er nennt auf Seite 95 Homosexuelle in einem Zug mit Prostituierten, Dieben, Bettlern und Rauschgiftsüchtigen. Dies wäre in der heutigen Zeit nahezu unmöglich, da die Gesellschaft in Bezug auf dieses Thema einen Wandel durchlebt und seit her viel toleranter gegenüber Homosexuellen eingestellt ist2. Ein weiteres Beispiel findet sich auf Seite 96. Hier schreibt Goffman von „schwarzhäutigen Negern2“. Auch dieser Ausdruck ist nicht mehr Zeitgemäß und könnte einige Leser vor den Kopf stoßen.



1 Albinismus ist eine Störung der Pigmente. Betroffene haben meist sehr helle Haut und Haare.
2In dem Text ist das Wort „Homosexuelle“ mit der Nennung anderer Randgruppen, sehr negativ behaftet, ich nehme jedoch Abstand davon dem Autor eine feindliche Gesinnung  zuzuschreiben.

Resümee

Goffmans Text ist, bis auf die Sprache, bis Heute gültig. Er Versteht es anhand von Beispielen seine Theorie zu erklären, wenn auch hin und wieder ein wenig komplizierter als nötig. Das Thema der Stigmas ist auch in der Heutigen Zeit noch aktuell und wird es wahrscheinlich noch lange sein. Er definiert klar was er mit seinen verwendeten Fachausdrücken meint und geht auch kurz auf jene Eventualitäten ein, welche  nicht weiter behandelt werden.
Dabei zeigt Goffman, dass sein Werk auch wirklich gut durchdacht ist, und auch Dinge die er nicht ausführt gedanklich miteinbezogen hat.

 

Literatur

Esser, Hartmut. 1999. Soziologie – Spezielle Grundlagen- Band 1: Situationslogik und Handeln. Frankfurt: Campus Verlag
Goffman, Erving. 1998. Stigma- Über Techniken der Bewältigung beschädigter Identitäten. Frankfurt am Main: Suhrkamp

Thomas, William / Znaniecki, Florian. 1927. Florian Methodical Note In: William I., Thomas und Florian, Znaniecki (Hger). The Polish Peasant in Europe and America. New York: nicht bekannt, S. 68.

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