Samstag, 7. Januar 2017

Der Klassen und Kapital-Begriff nach Pierre Bourdieu:



Um den Klassenbegriff zu verstehen muss der Begriff des „Habitus“ an dieser Stelle erklärt werden. So kann man „ihn als dauernde Beschaffenheit einer Person [definierten (Anm. des A.)], die nicht ursprünglich, sondern erworben ist und so zu einer zweiten Natur wird. Die erworbenen Dispositionen werden zu einer zweiten Natur, weil der Einzelne sich dieser Inkorporation nicht mehr bewusst ist“ (Jurt, 2010, S. 8). Der Habitus ist somit etwas Erlerntes, sich selbst Reproduzierendes das dem Individuum jedoch nicht bewusst ist. Er beinhaltet die Wortwahl, die Art zu gehen, Mimik, Vorlieben beim Essen als auch die Aussprache, um nur einige Aspekte zu erwähnen. Der Habitus ist sowohl für den Klassenbegriff als auch für die Kapitalformen essenziell und wurde deshalb an diesem Punkt kurz erklärt.

Klassenbegriff nach Pierre Bourdieu:

Schon Christian Schilcher versuchte in seiner Diplomarbeit eine einfache Definition für den Begriff der „Klasse“ im Bourdieuschen Sinn zu finden. Dazu schreibt er: „Eine einfache Definition des Begriffs Klasse ist im Werk Bourdieus indes nicht zu finden. Vielmehr verknüpft Bourdieu die Frage der sozialen Ungleichheit mit der Analyse von Lebensstilen und verankert diese Zusammenhänge systematisch in einem großen theoretischen Rahmen“ (Schilcher, 2005, S. 5). Im Folgenden wird trotz allem versucht, den Begriff kurz für sich zu erklären und in die Gesellschaftstheorie Pierre Bourdieus einzubetten. Grob unterscheidet Bourdieu zwischen drei großen Klassen mit ihrem dazugehörigen Habitus, welcher „ kollektive (unbewusste) Denk-, Wahrnehmungs- und Handlungsmuster bezeichnet“ (Kruse, 2012, S. 306).
Zum Zweck des einfacheren Verständnisses wird nachfolgend eine Tabelle gezeigt, welche die drei Klassen Bourdieus übersichtlich darstellt. Anschließend folgt die Erläuterung dieser Tabelle in Form eines Fließtextes.
  
Klasse
Habitus
Herrschende Klasse
„legitimer Geschmack“
Kleinbürgertum
Streben nach „oben“ und Bildungsbeflissenheit
Volksklasse
Populärer Geschmack und die Notwendigkeit
Tabelle 5 (vgl. Hartmann, 2004, S. 90)

Die herrschende Klasse zeichnet sich durch den wie Bourdieu es nennt „legitimen Geschmack“ aus. Dieser wird von den anderen Klassen als auch von der herrschenden Klasse als „legitim“ empfunden. Der Grund dafür ist, dass die Klasse des Kleinbürgertums nach oben „strebt“ und somit den Geschmack der herrschenden Klasse nicht in Frage stellt. Die herrschende Klasse fühlt sich durch das „streben“ der ihnen untergeben Klasse in ihrem Geschmack bestätigt. Das Kleinbürgertum zeichnet sich durch das eben schon erwähnte „streben“ nach oben aus. Dies ist meist durch das anhäufen von Bildung gekennzeichnet. Die Volksklasse hingegen zeichnet sich durch den Geschmack der „Notwendigkeit“ aus. Da diese Klasse meist zahlenmäßig den anderen Klassen überlegen ist, wird der Geschmack der Volksklasse auch als „populär“ bezeichnet. (vgl. Hartmann, 2004, S. 90) Es muss jedoch bei dieser Einteilung bedacht werden, dass Bourdieu nie den Anspruch erhebt einen Weg zu finden die Gesellschaft in ihrem realen Geschehen zu klassieren. Er selbst spricht immer von auf dem Papier „konstruierten Klassen“ (Bourdieu, 1982, S. 182) Er schreibt dazu: „Eine soziale Klasse ist vielmehr definiert durch die Struktur der Beziehungen zwischen allen relevanten Merkmalen, die jeder derselben wie den Wirkungen, welche sie auf die Praxisformen ausübt, ihren spezifischen Wert verleiht“ (Bourdieu, 1982, S. 182).
Wie schon in der Einleitung erwähnt sind der Klassen- und Kapitalbegriff eng miteinander verbunden. Aus diesem Grund wird im folgenden Abschnitt der Kapitalbegriff im Verständnis von Bourdieu behandelt.

 Kapitalbegriff nach Pierre Bourdieu:

Wie in der anschließenden Tabelle dargestellt, unterteilt Bourdieu den Kapitalbegriff in vier Kategorien.

Kapitalform
Merkmal
Ökonomisches Kapital
Unmittelbar in Geld konvertierbar
Soziales Kapital
Beziehungen und Verpflichtungen,
„Netzwerk“
Kulturelles Kapital
Intellektuelle Qualifikationen die durch die Familie erlangt werden und durch schulische Titel institutionalisiert werden.
Symbolisches Kapital
Ansehen, Prestige
Tabelle 6 (vgl. Jurt, 2012, S. 24)

Das ökonomische Kapital beschreibt den Besitz von materiellen Dingen. Jedoch sieht Bourdieu die rein ökonomische Interpretation des Begriffes als unzureichend.“[Der] wirtschaftswissenschaftliche Kapitalbegriff reduziert die Gesamtheit der gesellschaftlichen Austauschverhältnisse auf den bloßen Warenaustausch, der […] vom Eigennutz geleitet ist“ (Bourdieu, 1992, S. 50). Aus diesem Grund führt Bourdieu weitere Kapital-Begriffe ein.
Das soziale Kapital definiert Bourdieu als „die Gesamtheit der aktuellen und potentiellen Ressourcen, die mit dem Besitz eines dauerhaften Netzes von mehr oder weniger institutionalisierten Beziehungen gegenseitigen Kennens und Anerkennens verbunden sind [ ... ] es handelt sich dabei um Ressourcen, die auf der Zugehörigkeit zu einer Gruppe beruhen" (Bourdieu, 1992, S. 63).  Das bedeutet es geht es nicht um das individuelle Kapital eines Menschen, sondern um das Kapital, welches ein  Individuum mit Hilfe seines sozialen Netzwerkes mobilisieren kann. Das soziale Kapital kann somit die Wirkung der anderen Kapitalformen bestärken, da aus eben diesen materielle Verbindlichkeiten oder Solidaritäts-verpflichtungen entstehen können. (vgl. Jurt, 2012, S. 29f)
Das kulturelle Kapital wird von Bourdieu wie folgt in drei Zuständen unterschieden.

Art des kulturellen Kapitals
Merkmal
Inkorporierter Zustand
Verinnerlicht, Dauerhafte Disposition
Objektivierter Zustand
Güter wie: Bilder, Bücher usw.
Institutionalisierter Zustand
Titel, oder Stelle
Tabelle 7 (vgl. Jurt, 2012, S. 25)

Bourdieu trennt das kulturelle Kapital nicht in  Bewusstsein und Körperlichkeit auf. Es ist durch den Faktor Zeit in seinen Augen an den Körper gebunden. Eben „inkorporiert“. Um gewisse Fertigkeiten zu erwerben muss das Individuum Zeit investieren. Somit stellt erlangte Bildung für Bourdieu gewonnene Zeit dar. Nicht erworbene Bildung ist verlorene Zeit da diese in Zukunft nachgeholt werden muss. Demnach stellt Zeit die Verbindung zwischen ökonomischem und kulturellem Kapital dar. Der Unterschied zwischen dem objektivierten kulturellen Kapital und dem ökonomischen Kapital liegt in dem Wertunterschied dieser beiden. Ein Buch hat zum Beispiel auf dem Markt einen üblichen ökonomischen Wert, der symbolische Wert des Buches geht aber über den rein materiellen Wert hinaus. Dieser Mehrwert lässt sich in diesem Beispiel als Bildungskapital bezeichnen, allerdings wird er erst durch das Lesen und Verstehen des Buches geltend gemacht. Bildung wird durch das Erwerben von Titeln nun zum institutionalisierten kulturellen Kapital. Dies setzt wiederum das Investieren von Zeit und ökonomischem Kapital voraus, welches wiederum in kulturelles Kapital umgewandelt wird.  Das Erlangen von Titeln steht meist mit dem Ziel in Verbindung, einen gut bezahlten Job zu bekommen. An diesem Punkt verwandelt sich das kulturelle Kapital in ökonomisches Kapital. (vgl. Jurt, 2012, S.26 ff)
Symbolisches Kapital hingegen „beinhaltet die gesellschaftliche Anerkennung, die mit einem bestimmten Titel oder Status verbunden ist. Kulturelles Kapital kommt mittels gesellschaftlicher Anerkennungsakte zustande, die bestimmten Akteuren oder gesellschaftlichen Gruppen einen „Kredit“ an Ansehen und damit ein bestimmtes Prestige einräumen“ (Zwingenberger, 2003, S. 25f). Symbolisches Kapital kann einem Individuum somit zu ökonomischem, sozialem oder kulturellem Kapital verhelfen. Die vier Kapitalsorten von Bourdieu „existieren immer gleichzeitig und stehen in gegenseitiger Wechselwirkung“ (Lederer, 2005, S. 1).

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen