Montag, 26. Dezember 2016

RCT und das Konzept der Selbstkontrolle im Vergleich



Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Theorien:

Da die Rational Choice Theorie den „klassischen kriminalsoziologischen Theorien“ angehört, hatte sie, ob nun direkt oder indirekt lässt sich nur vermuten, einen Einfluss auf die Entstehung des Konzeptes der Selbstkontrolle. Einer dieser Einflüsse ist, dass Gottfredson und Hirschi den klassischen Theorien das Menschenbild entnommen haben. Dieses „klassische Menschenbild“ findet sich in der RCT sowie im Konzept der Selbstkontrolle gleichermaßen wieder und setzt sich aus folgenden vier Punkten zusammen.  

Das „klassische“ Menschenbild:
1.
Der Mensch handelt rational und immer im Hinblick auf seine persönlichen Interessen
2.
Der Handlung geht immer eine Kosten-Nutzen-Kalkulation voraus
3.
Der Mensch vermeidet negative Ereignisse wie Schmerz oder Leid und strebt nach der Befriedigung seiner Bedürfnisse
4.
Sanktionen stellen dem Nutzen abweichendes Verhaltens hohe Kosten gegenüber
Tabelle 2 (vgl. Lamnek, 2008, S. 100)
Der erste Punkt beschreibt einen rational handelnden Menschen, der seine persönlichen Interessen verfolgt. Diese Eigenschaften sind auch dem, schon an früherer Stelle erwähnten, Homo Oeconomicus zuzuschreiben. Durch Normen und Gesetze werden dem Individuum Grenzen gegeben, in welchen es seinen Interessen nachgehen kann. Wird eine solche Grenze überschritten, wird dieses Individuum als „kriminell“ bezeichnet. Beide Ansätze wagen den Versuch, den Grund für diese Grenzüberschreitung allgemeingültig aufzuzeigen.
Da bei der Entdeckung einer kriminellen Tat der kriminell handelnde Mensch mit unangenehmen Sanktionen rechnen muss, geht einer kriminellen Handlung eine Kosten-Nutzen Kalkulation voraus. Beide Ansätze widmen diesem zweiten Punkt ihre besondere Aufmerksamkeit. In der RCT wird die Handlungsentscheidung in vier Schritten getroffen. 1) Der Informationsphase, 2) der Bewertungsphase, 3) des Schätzens des Nettonutzens und zu guter Letzt 4) die Lösung des Entscheidungsproblems. Je nach Situation wird von dem Individuum, welches sich für eine Handlung entscheiden muss, eine individuelle Form der Kosten-Nutzen-Rechnung angewandt um zu einer Entscheidung zu gelangen. In dem Konzept der Selbstkontrolle ist für diese Kalkulation eine mathematische Formel vorgesehen, welche (B x E+) – (S x E-) lautet. Im Grunde werden die Kurzzeitfolgen, den Langzeitfolgen gegenübergestellt. In beiden Ansätzen hat die Kosten-Nutzen-Rechnung, oder Kosten Nutzen Kalkulation, eine zentrale Rolle. Die RCT begnügt sich allerdings mit dem theoretischen Ansatz, während das Konzept der Selbstkontrolle auf die eben für diesen Anlass aufgestellte mathematische Formel zurückgreift. Ein weiterer Unterscheid ist, dass das Individuum, geht man von der RCT aus, während es die vier Phasen der Handlungsentscheidung durchläuft, die Tat plant. Die Phase der Informationsbeschaffung und die Abwägung von Kosten und Nutzen nimmt einige Zeit in Anspruch. Somit kann dem Individuum ein Vorsatz[1] zur Tat vorgeworfen werden. Gottfredson und Hirschi hingegen sind der Überzeugung, dass ein Individuum, wenn sich ihm die Chance bietet schnell seine Bedürfnisse zu befriedigen, nur die Selbstkontrolle die delinquente Tat verhindern kann. Im Gegensatz zur RCT gehen die Autoren davon aus, dass in der Regel kaum ein Delinquent seine Tat plant. (vgl. Lamnek, 2008, S. 98) Eine weitere Gemeinsamkeit ist der Punkt der Bedürfnisbefriedigung.  Die Rational Choice Theorie vertritt den Standpunkt, dass das kriminelle Handeln der Bedürfnisbefriedigung des delinquenten Individuums dient. Gottfredson und Hirschi gehen ebenfalls davon aus, dass kriminelles Handeln „in Erwartung einer schnellen und sicher eintretenden Bedürfnisbefriedigung „(Lamnek, 2008, S. 98) entsteht. In diesem Punkt stimmen die RCT und das Konzept der Selbstkontrolle überein.
Der letzte Punkt des „klassischen Menschenbildes“ bezieht sich auf die Wirkung der Strafe. In der Rational Choice Theorie wird davon ausgegangen, dass Strafen der Abschreckung dienen. Der Abschreckungseffekt ist umso höher, wenn die Strafen mit Gewissheit oder sehr hoher Wahrscheinlichkeit eintreten, die Zeitspanne zwischen Tat und Bestrafung möglichst gering ist und die Sanktionen entsprechend hart sind. Gottfredson und Hirschi kritisieren jedoch genau diesen Denkansatz. Sie sind der Meinung, dass dieser Ansatz „die Veranlagungen der Delinquenten verkennt und zu weitgehend darauf aufbaut, dass jeder Mensch den gleichen Rationalitätsprinzipien folgt“ (Lamnek, 2008, S. 98). Den Beweis für ihre Kritik sehen sie in den, trotz der Todesstrafe ausgesetzten, begangenen Taten. Denn ist auf eine Tat die Todesstrafe ausgesetzt, müsste ein rational denkender Mensch eben jene Tat meiden, denn das eigene Leben zu wahren sollte rational höchste Priorität haben. Ein weiterer Unterschied zwischen den beiden Ansätzen ist die Betrachtungsweise von Kriminalität selbst. Dabei muss bedacht werden, dass die Rational Choice Theorie versucht Handlungen allgemein begreifbar zu machen. Das diese Theorie auch angewandt werden kann kriminelle Handlungen zu hinterfragen, ist nur eine von vielen Möglichkeiten die RCT anzuwenden.  Das Konzept der Selbstkontrolle hingegen ist dafür bestimmt, ausschließlich deviantes oder kriminelles Verhalten zu veranschaulichen. Aus diesem Grund ist das ganze Konzept darauf ausgelegt, eben genau jene Verstöße gegen die Norm oder das Gesetz zu hinterfragen und begreifbar zu machen. Resultierend aus der Tatsache, dass die RCT weitaus allgemeiner formuliert ist, setzt sie bei dem Versuch eine Handlung, ob kriminell oder nicht, an dem Punkt an, an dem das Individuum ein Ziel vor Augen hat. Der Entscheidungsprozess den das Individuum durchläuft dient nur der Lösung des Problems, welche Handlung ausgeführt werden soll um das Ziel zu erreichen. Das Konzept der Selbstkontrolle hingegen betrachtet das Individuum selbst, dessen Neigungen und welchen Einflüssen es ausgesetzt ist. Wie zuvor in dieser Arbeit schon erwähnt, beschäftigt sich das Konzept der Selbstkontrolle vorranging mit der Abwesenheit von Kriminalität. Also der Frage, welche Eigenschaft ein Individuum haben muss, um nicht kriminell zu werden. Gottfredson und Hirschi gehen wie schon beschrieben davon aus, dass die Eigenschaft welche zur Abwesenheit von Kriminalität führt, die der Selbstkontrolle ist.
Da nun die wichtigsten Gemeinsamkeiten und Unterschiede der beiden behandelten Konzepte herausgearbeitet wurden, widmet sich der nächste Teil der Arbeit dem Ergebnis.  

Ergebnis:


Die Rational Choice Theorie und das Konzept der Selbstkontrolle sind Ansätze mit deren Hilfe versucht wird, Kriminalität allgemein begreifbar zu machen. Die Rational Choice Theorie wurde kreiert um menschliches Handeln, in jeder nur erdenklichen Situation, nachvollziehbar zu machen. Da der Mensch sich nicht immer der Norm entsprechend verhält, fällt auch kriminelles Handeln in den Erläuterungsbereich der RCT. Dabei wird davon ausgegangen, dass ein Individuum eine Form von „Kosten Nutzen Rechnung“ individuell für jede Situation erstellt und auswertet. Dabei hat der Mensch ein Ziel vor Augen, welches er erreichen will. Die Kosten-Nutzen-Rechnung dient nur der Entscheidung auf welchem Weg dieses Ziel erreicht werden soll. Da ein Individuum meinst zwischen mehreren Handlungsmöglichkeiten wählen kann, muss es zu Beginn dieser Kosten-Nutzen-Rechnung Informationen über die jeweilige Situation und deren Begebenheiten einholen. Danach werden die Eintrittswahrscheinlichkeiten von verschiedenen Szenarien, wie zum Beispiel bei einem Diebstahl erwischt zu werden, subjektiv eingeschätzt und bewertet.  Unter Berücksichtigung der geschätzten Wahrscheinlichkeiten, wird der Nettonutzen bestimmt und die Handlung mit dem größten Nutzen ausgeführt. (vgl. Lamnek, 2008, S. 181)
Das Konzept der Selbstkontrolle wählt ebenfalls den Zugang zur Kriminalität über die Berechnung des Nutztens welchen ein Individuum aus einer bestimmten Handlung zieht. Jedoch wurde das Konzept der Selbstkontrolle von Gottfredson und Hirschi, im Gegensatz zur RCT, rein für die Betrachtung krimineller Handlungen konzepiert. Dies verschafft dem Ansatz den Vorteil, sich nur auf eine Form von Handlungen, eben jenen die von der Norm abweichen, zu konzentrieren. Gottfredson und Hirschi setzen an dem Punkt an, wo ihrer Auffassung nach kriminelles Handeln entsteht, bei der Eigenschaft der Selbstkontrolle. Selbstkontolle bedeutet, dass ein Individuum auf eine unmittelbare Befriedigung verzichten kann, wenn sie in der Zukunft auch negative Effekte mit sich bringen kann. Somit ist laut Gottfredson und Hirschi Kriminalität keine Konsequenz mangelnder Selbstkontrolle, sondern der Mangel an Selbstkontrolle eine Voraussetzung für Kriminalität. (vgl. ebd., 2008, S. 112) Die Berechnung des Nutzens wird als mathematische Formel (B x E+) – (S x E-) zum Ausdruck gebracht. (vgl. ebd., 2008, S. 110)
Die Gemeinsamkeiten der beiden Ansätze rühren zum Teil daher, dass das Konzept der Selbstkontrolle in gewisser Weise von der Rational Choice Theorie beeinflusst wurde. So wurde das „klassische Menschenbild“, welches auch die Rational Choice Theorie verwendet, von Gottfredson und Hirschi für das Konzept der Selbstkontrolle übernommen. Dieses besagt, dass ein Mensch immer rational in Hinblick auf seine persönlichen Interessen handelt, einer Handlung eine Kosten Nutzen Kalkulation vorausgeht, Negative Ereignisse vermieden werden, die Bedürfnisse im Vordergrund stehen und Sanktionen für abweichendes Verhalten dem Nutzen gegenüberstehen. (vgl. ebd., 2008, S. 100) Wie bereits beschrieben ist der größte Unterschied im Ansatz der beiden Theorien zu finden. Die Rational Choice Theorie setzt an jenem Punkt an, an dem sich ein Individuum für eine Handlung entscheiden muss. Das Konzept der Selbstkontrolle hingegen sieht im Mangel an Selbstkontrolle den Grund für den Hang zur Kriminalität.
Da die Ergebnisse dieser Arbeit nun vorgestellt wurden, folgt das Fazit dieser Arbeit.

Die Arbeit sollte die Ansätze und Termini sowie die Definitionen der verwendeten Ausdrücke aufzeigen und für den Leser verständlich ausformulieren. Dabei stellte sich heraus, dass die Rational Choice Theorie, neben anderen Theorien, welche das Abweichen von der Norm zu erfassen versuchen, das Konzept der Selbstkontrolle beeinflusst hat. Diese Beeinflussung findet sich in mehreren Punkten, des Konzeptes wieder. Als eine der größten Gemeinsamkeiten ist das „klassische Menschenbild“ zu erwähnen, so wie die „Kosten Nutzen Kalkulation“ welche eine, in dieser Arbeit erläuterte, nicht unerhebliche Rolle spielt. Der größte Unterschied der beiden Theorien ist in dem Versuch der Erfassung von Kriminalität selbst zu finden. Während die RCT erst nach dem setzten eines Zieles „eingreift“, sieht das Konzept der Selbstkontrolle den Mangel an Selbstkontrolle als Grund für den Hang zur Kriminalität.
Um jedoch beide Theorien mit all ihren Facetten, Gemeinsamkeiten und Unterschieden in ihrem gesamten Ausmaß zu erfassen, reicht diese Arbeit leider nicht aus. Jedoch soll diese Arbeit den Grundstock für weitere Forschungen in dieser Richtung bilden, da die Thematik von nicht unerheblicher Bedeutung ist. Es ist interessant die Zusammenhänge und Entwicklungen der Betrachtung und Auffassung von Kriminalität im Laufe der Zeit zu verfolgen und zu dokumentieren. Kriminalität gehört unweigerlich zu einer Gesellschaft und sollte deshalb auch in Zukunft im Fokus der Forschung stehen.



[1] Vorsatz laut Paragraph 5 des Strafgesetzbuches Österreich:
„(1) Vorsätzlich handelt, wer einen Sachverhalt verwirklichen will, der einem gesetzlichen Tatbild entspricht; dazu genügt es, daß der Täter diese Verwirklichung ernstlich für möglich hält und sich mit ihr abfindet.
(2) Der Täter handelt absichtlich, wenn es ihm darauf ankommt, den Umstand oder Erfolg zu verwirklichen, für den das Gesetz absichtliches Handeln voraussetzt.
(3) Der Täter handelt wissentlich, wenn er den Umstand oder Erfolg, für den das Gesetz Wissentlichkeit voraussetzt, nicht bloß für möglich hält, sondern sein Vorliegen oder Eintreten für gewiß hält“ (Sruc, 2016).

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