Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Theorien:
Da die Rational Choice Theorie den
„klassischen kriminalsoziologischen Theorien“ angehört, hatte sie, ob nun
direkt oder indirekt lässt sich nur vermuten, einen Einfluss auf die Entstehung
des Konzeptes der Selbstkontrolle. Einer dieser Einflüsse ist, dass Gottfredson
und Hirschi den klassischen Theorien das Menschenbild
entnommen haben. Dieses „klassische Menschenbild“ findet sich in der RCT sowie
im Konzept der Selbstkontrolle gleichermaßen wieder und setzt sich aus
folgenden vier Punkten zusammen.
Das „klassische“ Menschenbild:
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1.
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Der Mensch handelt rational und immer im Hinblick auf
seine persönlichen Interessen
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2.
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Der Handlung geht immer eine
Kosten-Nutzen-Kalkulation voraus
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3.
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Der Mensch vermeidet negative
Ereignisse wie Schmerz oder Leid und strebt nach der Befriedigung seiner Bedürfnisse
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4.
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Sanktionen stellen dem Nutzen
abweichendes Verhaltens hohe Kosten gegenüber
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Der erste Punkt beschreibt einen rational handelnden Menschen, der
seine persönlichen Interessen verfolgt. Diese Eigenschaften sind auch dem,
schon an früherer Stelle erwähnten, Homo Oeconomicus zuzuschreiben. Durch
Normen und Gesetze werden dem Individuum Grenzen gegeben, in welchen es seinen
Interessen nachgehen kann. Wird eine solche Grenze überschritten, wird dieses
Individuum als „kriminell“ bezeichnet. Beide Ansätze wagen den Versuch, den
Grund für diese Grenzüberschreitung allgemeingültig aufzuzeigen.
Da bei der Entdeckung einer kriminellen
Tat der kriminell handelnde Mensch mit unangenehmen Sanktionen rechnen muss,
geht einer kriminellen Handlung eine Kosten-Nutzen
Kalkulation voraus. Beide Ansätze widmen diesem zweiten Punkt ihre
besondere Aufmerksamkeit. In der RCT wird die Handlungsentscheidung in vier
Schritten getroffen. 1) Der Informationsphase, 2) der Bewertungsphase, 3) des
Schätzens des Nettonutzens und zu guter Letzt 4) die Lösung des
Entscheidungsproblems. Je nach Situation wird von dem Individuum, welches sich
für eine Handlung entscheiden muss, eine individuelle Form der Kosten-Nutzen-Rechnung
angewandt um zu einer Entscheidung zu gelangen. In dem Konzept der Selbstkontrolle
ist für diese Kalkulation eine mathematische Formel vorgesehen, welche (B x E+) – (S x E-) lautet. Im Grunde werden die
Kurzzeitfolgen, den Langzeitfolgen gegenübergestellt. In beiden Ansätzen hat
die Kosten-Nutzen-Rechnung, oder Kosten Nutzen Kalkulation, eine zentrale
Rolle. Die RCT begnügt sich allerdings mit dem theoretischen Ansatz, während
das Konzept der Selbstkontrolle auf die eben für diesen Anlass aufgestellte
mathematische Formel zurückgreift. Ein weiterer Unterscheid ist, dass das Individuum,
geht man von der RCT aus, während es die vier Phasen der Handlungsentscheidung
durchläuft, die Tat plant. Die Phase der Informationsbeschaffung und die
Abwägung von Kosten und Nutzen nimmt einige Zeit in Anspruch. Somit kann dem
Individuum ein Vorsatz[1] zur
Tat vorgeworfen werden. Gottfredson und Hirschi hingegen sind der Überzeugung, dass
ein
Individuum, wenn sich ihm die Chance bietet schnell seine Bedürfnisse zu
befriedigen, nur die Selbstkontrolle die delinquente Tat verhindern kann. Im
Gegensatz zur RCT gehen die Autoren davon aus, dass in der Regel kaum ein
Delinquent seine Tat plant. (vgl. Lamnek, 2008, S. 98) Eine weitere Gemeinsamkeit ist der
Punkt der Bedürfnisbefriedigung. Die Rational Choice Theorie vertritt den
Standpunkt, dass das kriminelle Handeln der Bedürfnisbefriedigung des
delinquenten Individuums dient. Gottfredson und Hirschi gehen ebenfalls davon
aus, dass kriminelles Handeln „in Erwartung einer schnellen und sicher eintretenden
Bedürfnisbefriedigung „(Lamnek, 2008, S. 98) entsteht. In diesem
Punkt stimmen die RCT und das Konzept der Selbstkontrolle überein.
Der letzte Punkt des „klassischen Menschenbildes“ bezieht sich auf die
Wirkung der Strafe. In der Rational Choice Theorie wird davon ausgegangen, dass
Strafen der Abschreckung dienen. Der Abschreckungseffekt ist umso höher, wenn
die Strafen mit Gewissheit oder sehr hoher Wahrscheinlichkeit eintreten, die
Zeitspanne zwischen Tat und Bestrafung möglichst gering ist und die Sanktionen
entsprechend hart sind. Gottfredson und Hirschi kritisieren jedoch genau diesen
Denkansatz. Sie sind der Meinung, dass dieser Ansatz „die Veranlagungen der
Delinquenten verkennt und zu weitgehend darauf aufbaut, dass jeder Mensch den
gleichen Rationalitätsprinzipien folgt“ (Lamnek, 2008, S. 98). Den Beweis für ihre
Kritik sehen sie in den, trotz der Todesstrafe ausgesetzten, begangenen Taten. Denn
ist auf eine Tat die Todesstrafe ausgesetzt, müsste ein rational denkender
Mensch eben jene Tat meiden, denn das eigene Leben zu wahren sollte rational
höchste Priorität haben. Ein weiterer Unterschied zwischen den beiden Ansätzen
ist die Betrachtungsweise von Kriminalität selbst. Dabei muss bedacht werden,
dass die Rational Choice Theorie versucht Handlungen allgemein begreifbar zu machen. Das diese Theorie auch angewandt
werden kann kriminelle Handlungen zu hinterfragen, ist nur eine von vielen
Möglichkeiten die RCT anzuwenden. Das
Konzept der Selbstkontrolle hingegen ist dafür bestimmt, ausschließlich
deviantes oder kriminelles Verhalten zu veranschaulichen. Aus diesem Grund ist
das ganze Konzept darauf ausgelegt, eben genau jene Verstöße gegen die Norm
oder das Gesetz zu hinterfragen und begreifbar zu machen. Resultierend aus der
Tatsache, dass die RCT weitaus allgemeiner formuliert ist, setzt sie bei dem
Versuch eine Handlung, ob kriminell oder nicht, an dem Punkt an, an dem das
Individuum ein Ziel vor Augen hat. Der Entscheidungsprozess den das Individuum
durchläuft dient nur der Lösung des Problems, welche Handlung ausgeführt werden soll um das Ziel zu erreichen.
Das Konzept der Selbstkontrolle hingegen betrachtet das Individuum selbst,
dessen Neigungen und welchen Einflüssen es ausgesetzt ist. Wie zuvor in dieser
Arbeit schon erwähnt, beschäftigt sich das Konzept der Selbstkontrolle
vorranging mit der Abwesenheit von
Kriminalität. Also der Frage, welche Eigenschaft ein Individuum haben muss, um
nicht kriminell zu werden. Gottfredson und Hirschi gehen wie schon beschrieben
davon aus, dass die Eigenschaft welche zur Abwesenheit von Kriminalität führt,
die der Selbstkontrolle ist.
Da nun die wichtigsten
Gemeinsamkeiten und Unterschiede der beiden behandelten Konzepte
herausgearbeitet wurden, widmet sich der nächste Teil der Arbeit dem Ergebnis.
Ergebnis:
Die Rational Choice Theorie und das Konzept
der Selbstkontrolle sind Ansätze mit deren Hilfe versucht wird, Kriminalität
allgemein begreifbar zu machen. Die Rational Choice Theorie wurde kreiert um menschliches
Handeln, in jeder nur erdenklichen Situation, nachvollziehbar zu machen. Da der
Mensch sich nicht immer der Norm entsprechend verhält, fällt auch kriminelles
Handeln in den Erläuterungsbereich der RCT. Dabei wird davon ausgegangen, dass
ein Individuum eine Form von „Kosten Nutzen Rechnung“ individuell für jede
Situation erstellt und auswertet. Dabei hat der Mensch ein Ziel vor Augen,
welches er erreichen will. Die Kosten-Nutzen-Rechnung dient nur der
Entscheidung auf welchem Weg dieses Ziel erreicht werden soll. Da ein
Individuum meinst zwischen mehreren Handlungsmöglichkeiten wählen kann, muss es
zu Beginn dieser Kosten-Nutzen-Rechnung Informationen über die jeweilige
Situation und deren Begebenheiten einholen. Danach werden die
Eintrittswahrscheinlichkeiten von verschiedenen Szenarien, wie zum Beispiel bei
einem Diebstahl erwischt zu werden, subjektiv eingeschätzt und bewertet. Unter Berücksichtigung der geschätzten
Wahrscheinlichkeiten, wird der Nettonutzen bestimmt und die Handlung mit dem
größten Nutzen ausgeführt. (vgl. Lamnek, 2008, S.
181)
Das Konzept der Selbstkontrolle wählt ebenfalls den Zugang zur Kriminalität
über die Berechnung des Nutztens welchen ein Individuum aus einer bestimmten
Handlung zieht. Jedoch wurde das Konzept der Selbstkontrolle von Gottfredson
und Hirschi, im Gegensatz zur RCT, rein für die Betrachtung krimineller
Handlungen konzepiert. Dies verschafft dem Ansatz den Vorteil, sich nur auf
eine Form von Handlungen, eben jenen die von der Norm abweichen, zu
konzentrieren. Gottfredson und Hirschi setzen an dem Punkt an, wo ihrer
Auffassung nach kriminelles Handeln entsteht, bei der Eigenschaft der
Selbstkontrolle. Selbstkontolle bedeutet, dass ein Individuum auf eine
unmittelbare Befriedigung verzichten kann, wenn sie in der Zukunft auch
negative Effekte mit sich bringen kann. Somit ist laut Gottfredson und Hirschi
Kriminalität keine Konsequenz mangelnder Selbstkontrolle, sondern der Mangel an
Selbstkontrolle eine Voraussetzung für
Kriminalität. (vgl. ebd., 2008, S. 112) Die Berechnung des Nutzens wird als
mathematische Formel (B x E+) – (S x E-)
zum Ausdruck
gebracht. (vgl. ebd., 2008, S. 110)
Die Gemeinsamkeiten der beiden
Ansätze rühren zum Teil daher, dass das Konzept der Selbstkontrolle in gewisser
Weise von der Rational Choice Theorie beeinflusst wurde. So wurde das
„klassische Menschenbild“, welches auch die Rational Choice Theorie verwendet,
von Gottfredson und Hirschi für das Konzept der Selbstkontrolle übernommen.
Dieses besagt, dass ein Mensch immer rational in Hinblick auf seine
persönlichen Interessen handelt, einer Handlung eine Kosten Nutzen Kalkulation
vorausgeht, Negative Ereignisse vermieden werden, die Bedürfnisse im
Vordergrund stehen und Sanktionen für abweichendes Verhalten dem Nutzen
gegenüberstehen. (vgl. ebd., 2008, S. 100) Wie bereits beschrieben ist der
größte Unterschied im Ansatz der beiden Theorien zu finden. Die Rational Choice
Theorie setzt an jenem Punkt an, an dem sich ein Individuum für eine Handlung
entscheiden muss. Das Konzept der Selbstkontrolle hingegen sieht im Mangel an
Selbstkontrolle den Grund für den Hang zur Kriminalität.
Da die Ergebnisse dieser Arbeit nun
vorgestellt wurden, folgt das Fazit dieser Arbeit.
Die Arbeit sollte die Ansätze und
Termini sowie die Definitionen der verwendeten Ausdrücke aufzeigen und für den
Leser verständlich ausformulieren. Dabei stellte sich heraus, dass die Rational
Choice Theorie, neben anderen Theorien, welche das Abweichen von der Norm zu
erfassen versuchen, das Konzept der Selbstkontrolle beeinflusst hat. Diese
Beeinflussung findet sich in mehreren Punkten, des Konzeptes wieder. Als eine
der größten Gemeinsamkeiten ist das „klassische Menschenbild“ zu erwähnen, so
wie die „Kosten Nutzen Kalkulation“ welche eine, in dieser Arbeit erläuterte,
nicht unerhebliche Rolle spielt. Der größte Unterschied der beiden Theorien ist
in dem Versuch der Erfassung von Kriminalität selbst zu finden. Während die RCT
erst nach dem setzten eines Zieles „eingreift“, sieht das Konzept der
Selbstkontrolle den Mangel an Selbstkontrolle als Grund für den Hang zur
Kriminalität.
Um jedoch beide Theorien mit all
ihren Facetten, Gemeinsamkeiten und Unterschieden in ihrem gesamten Ausmaß zu
erfassen, reicht diese Arbeit leider nicht aus. Jedoch soll diese Arbeit den
Grundstock für weitere Forschungen in dieser Richtung bilden, da die Thematik
von nicht unerheblicher Bedeutung ist. Es ist interessant die Zusammenhänge und
Entwicklungen der Betrachtung und Auffassung von Kriminalität im Laufe der Zeit
zu verfolgen und zu dokumentieren. Kriminalität gehört unweigerlich zu einer
Gesellschaft und sollte deshalb auch in Zukunft im Fokus der Forschung stehen.
[1] Vorsatz laut Paragraph 5 des Strafgesetzbuches
Österreich:
„(1) Vorsätzlich handelt, wer einen Sachverhalt verwirklichen will, der einem gesetzlichen Tatbild entspricht; dazu genügt es, daß der Täter diese Verwirklichung ernstlich für möglich hält und sich mit ihr abfindet.
(2) Der Täter handelt absichtlich, wenn es ihm darauf ankommt, den Umstand oder Erfolg zu verwirklichen, für den das Gesetz absichtliches Handeln voraussetzt.
(3) Der Täter handelt wissentlich, wenn er den Umstand oder Erfolg, für den das Gesetz Wissentlichkeit voraussetzt, nicht bloß für möglich hält, sondern sein Vorliegen oder Eintreten für gewiß hält“ (Sruc, 2016).
„(1) Vorsätzlich handelt, wer einen Sachverhalt verwirklichen will, der einem gesetzlichen Tatbild entspricht; dazu genügt es, daß der Täter diese Verwirklichung ernstlich für möglich hält und sich mit ihr abfindet.
(2) Der Täter handelt absichtlich, wenn es ihm darauf ankommt, den Umstand oder Erfolg zu verwirklichen, für den das Gesetz absichtliches Handeln voraussetzt.
(3) Der Täter handelt wissentlich, wenn er den Umstand oder Erfolg, für den das Gesetz Wissentlichkeit voraussetzt, nicht bloß für möglich hält, sondern sein Vorliegen oder Eintreten für gewiß hält“ (Sruc, 2016).
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